Der Pfaffenturm
Der historische Pfaffenturm ist Bestandteil der früheren Aachener Stadtbefestigung und ist seit den 1960er Jahren Bestandteil unseres Verbindungshauses, welches zusätzlich aus einem Anbau mit Wohntrakt und Kneipsaal besteht. Hinter diesem Anbau sind noch Teile der alten Stadtmauer zu finden.
Will man die Geschichte des Pfaffenturms darstellen, muß man zuvor auch die Geschichte der Aachener Befestigungsanlagen insgesamt betrachten.
Geschichte der Aachener Befestigungsanlagen
Seit 1879 legte man in Aachen bei Erdbewegungsarbeiten immer wieder Verteidigungsgruben frei, die offensichtlich bis in das 12. Jhd. hinein die etwas schwache Kernbefestigung Aachens darstellten. Diese rechteckigen Gruben lagen in geringen Abständen zueinander und wiesen eine Tiefe zwischen 2,50 und 3,00 Meter auf. Ihre steilen Wandungen waren mit gespitzten Eichenpfählen bekleidet, diese wurden von Bohlen zusammengehalten. Der Zug der Verteidigungsgruben legte sich um den heutigen Kern der Stadt innerhalb des ersten Mauerringes (Barbarossamauer). Von dieser zwischen 1171 und 1175 errichteten Stadtmauer und dem zugehörigen Wallgraben sind nur noch Ecke Templergraben/Pontstraße, hinter der Nikolauskirche und in der Eilfschornsteinstraße Reste zu sehen, doch läßt sich aus alten Ansichten, Stadtplänen und Straßennamen eine Beschreibung im engeren Sinne abgeben. Danach verlief der Graben mit der etwa 2.480 Meter langen Mauer ungefähr im Zuge der heute mit den Straßennamen „Graben” benannten Linie und umgürtete ein Gebiet von rund 50 Hektar.
Die 1,50 bis 2,50 Meter starke und 7 bis 8 Meter hohe Mauer, deren Außenseite durch Gräben geschützt war, lehnte sich mit ihrer inneren Seite an die Wälle an. Sie war von 10 Toren und ebenso vielen Türmen bewehrt. Die Tore, nach Lage und Namen geordnet:
- Harduinstor am unteren Ende der Hartmannstraße
- Scherptor an der Ecke Annastraße/Alexianergraben
- Jakobsmitteltor in der Jakobstraße zwischen Löher- und Karlsgraben
- Königsmitteltor etwa in der Mitte der Königsstraße
- Pontmitteltor in der Pontstraße am Driescher Gäßchen
- Neutor an der Neupforte beim Seilgraben
- Kölnmitteltor Ecke Großköln-/Harscampstraße
- Besterdertor am unteren Büchel
- Adalbertsmitteltor, auch Aldegundistor genannt, an der unteren Ursulinerstraße
Der Graben vor der Mauer lag zwischen Scherp-, Jakobsmittel-, Königsmittel- und beim Pontmitteltor trocken; somit war er leicht zu überwinden. Zur Sicherung dieser kritischen Stellen traten an diesem Teil des Berings neun Wehrtürme aus der Mauer hervor. Den scharfen Winkel zwischen Pontmittel- und dem Neutor bewehrte ein besonders starker Flankierungsturm. Von diesen gut verteilten Türmen konnten die Zwischenstellen der Mauer zur Verteidigung mit Pfeilen bestrichen werden. Die andere Mauerhälfte erhielt genügend Schutz durch die Möglichkeit, den dort tiefer gelegenen Graben mit Wasser der Pau und des Johannisbaches zu füllen; daher verzichtete man hier auf kostspielige Türme.
Der um 1300 begonnene und um die Mitte des 14. Jhds. vollendete zweite Mauerring brachte es auf stattliche 5.400 Meter Länge und umfaßte 175 Hektar, dazu gehörten auch große Flächen ohne Bebauung. Da leider nichts mehr von der Mauer vorhanden ist, geben nur noch alte Ansichten und aus halber Vogelperspektive gezeichnete Stadtpläne ein zuverlässiges Bild von ihrem Verlauf. Nimmt man das noch vorhandene Marschiertor als Ausgangspunkt, so zog sich die zweite Stadtmauer mit dem davorliegenden Graben den Boxgraben hinauf und über den Bergrücken An der Schanz, folgte dann der Junkerstraße, stieg die Turmstraße empor zum Ponttor, lief den heutigen Alleen entlang, nahm die Richtung Martin-Luther-Straße, Richard-, Gottfried-, Schützenstraße, querte die Theaterstraße (an der Ecke Theater-/Wallstraße ist der Verlauf mit dunklen Natursteinplatten auf dem Bürgersteig Bodenfunden entsprechend markiert) und schloß den Ring mit der Wallstraße, die ja am Marschiertor endet.
Die Mauer wies je nach Lage verschiedene Maße auf, die sich danach richteten, ob die Annäherung des Feindes leicht oder schwierig war. So schwankte auch die Breite des Grabens zwischen 24 und 28 Metern. Die mit Wasser gefüllten Gräben erreichten eine Tiefe von 7 bis 8 Metern, die trockenen dagegen 10 bis 12 Meter. Die Mauer stieg je nach Lage 8 bis 10 Meter empor und war, je nach Gefährdung 2 bis 4 Meter stark. Sie zeigte eine glatte Außenfläche und die aufgesetzte Brustwehr trug auf der ganzen Wallung Zinnen mit nach unten gerichteten Scharten.
Elf Tore bewehrten diesen äußeren Mauerring:
- das Marschiertor (ehemals äußeres Burtscheider- oder auch Hahnentor genannt)
- das Rostor
- das äußere Jakobstor oder Schevattentor (zur frz. Besatzungszeit Lütticher Tor genannt)
- das Junkerstor (zur frz. Besatzungszeit Vaalser Tor)
- das äußere Königstor
- das äußere Ponttor (zur frz. Besatzungszeit Maastrichter Tor)
- das Bergtor
- das Sandkaultor
- das äußere Kölntor oder Neu-Aachen-Tor
- das äußere Adalbertstor
- das Wirichsbongardstor (oft Lothringer Tor genannt)
Zwischen den Toren bewehrte man die Mauer in ungleichen Abständen mit 22 Türmen:
- zwischen Marschier- und Rostor mit dem kleinen Paunellen- und dem Karls- oder Krakauturm
- zwischen Ros- und Jakobstor mit dem Lavensteinturm
- zwischen Jakobs- und Junkerstor mit dem Eierkeilsturm und einem mit Namen unbekannten viereckigen Turm
- zwischen Junkers- und Königstor mit dem Pfaffenturm
- zwischen Königs- und Ponttor mit dem Langen Turm, dem Burtscheider-, dem Beguinen-, dem Gregorius- oder richtiger Georgs-, dem Krucken- und dem Bongartsturm
- zwischen Pont- und Bergtor mit der Marienburg (heute Ehrenmal)
- zwischen Berg- und Sandkaultor mit dem Bergerschanzturm
- zwischen Sandkaul- und Kölntor mit dem Hinzenturm und dem Schänzchen
- zwischen Köln- und Adalbertstor mit dem Wasserturm
- zwischen Adalberts- und Wirichsbongartstor mit dem Rohkogelsturm (auch Schowenturm), dem Pulver- und dem Schildturm
- und schließlich zwischen Wirichsbongards- und Marschiertor mit dem Krichelenturm
Geschichte des Pfaffenturms, sein Bau, die Nutzung und die Namensgebung
Der Baubeginn läßt sich durch die städtische Baumeisterrechnung von 1441/42, die im Aachener Stadtarchiv eingesehen werden kann, genau belegen. Mit dem Ausschachten begann man 1441, denn die Baumeisterrechnung verzeichnet in der 48. Woche einen Bericht von „bumeister her Lambret Buck ind Willen van Rade underbumeister” über folgende Ausgaben: „Item zwa eynspenige karen in dy Suilles 6 dage, des dais eyder 1 m, valet 12 m, dy erde van stat zu woren, da man den nuwen torn ainlegen suilde. Item der burgermeister was up dat werck, schende den Gesellen 8 sch.”.
Genau wie sein Beginn, kann auch die Vollendung des Bauwerks der städtischen Ausgaberechnung von 1456/57 entnommen werden, denn hier heißt es in der 10. Woche: „Der leyendecker (Dachdecker). Item den gesellen gegolden van den mey (mey = Richtkranz) an die Suillis op den torn zu setzen ein veirdel wijns, valet 20 sch.”. Der Turm trug im 15 Jhd. seinen ersten, im wahrsten Sinne des Wortes etwas anrüchigen Namen. Er hieß Suylisturm, benannt nach dem Suylisbach, der beim Turm in die Stadt eintrat.
Von je her führen 3 Bäche der Stadt von Westen Wasser zu: Der Johannisbach, früher Suylisbach genannt, die Pau und die Paunelle. Während Pau und Paunelle immer die Frischwasserzufuhr sicherstellten, benutzten schon die Römer den Johannisbach als Abwasserrinne, wohl deshalb, weil seine Ufer innerhalb der Stadt versumpft und daher den damaligen Bewohnern siedlungsfeindlich erschienen.
In der Frankenzeit, während des ganzen Mittelalters hindurch und auch noch in der Neuzeit blieb die Aufgabenteilung der 3 Bäche gleich. Dies hatte zu Folge, daß der heutige Johannisbach schon im Mittelalter zu einer bestialisch stinkenden Kloake verkam und den Namen Suylis erhielt, heutigem Sprachgebrauch etwa „Schweinesuhle” entsprechend. Durch Bohlenüberdeckungen und wöchentliche Spülungen aus besonders dafür gebauten, von der Pau gespeisten Frischwasserreservoirs, versuchte man vergebens dem pestilenzartigen Gestank Herr zu werden.
Die Verpflichtung des Aachener Münsterstifts, für den Turm die Wache zu stellen, für Waffen, Proviant und bauliche Obhut zu sorgen, gab ihm dann den noch heute geltenden Namen Pfaffenturm. Dies bestätigt 1603 bereits der Aachener Stadtsyndikus Klöcker durch seine Tagebucheintragungen: „1603 ahm 31. Jan. ist dechant zu unser Lieben Frauen, dar ehr die wacht altem herkommen nach uf den pfaffen torn versorgen lassen solle, ersuchet.”
Das wir den Turm heute als unser Haus nutzen können, verdanken wir allein dem äußerst profanen Umstand, daß er nach Beendigung seiner wehrhaften Aufgaben als Eiskeller vermietet wurde, sonst wäre auch er der Spitzhacke zum Opfer gefallen wie die 17 anderen Türme der Stadtmauer.
In der Nazizeit diente er als SS- und HJ-Heim. Was von dieser Nutzung übrig blieb, nämlich ein total grau getünchtes Inneres, haben Ripuaren und Palaten mittels Sandstrahl beseitigt. Wie schon in der Geschichte unserer Korporation geschrieben, erfuhr er dann gegen Ende der 50er Jahre die ripuarengemäße Innensanierung und wird seither von uns genutzt. Inzwischen ist fast alles in ihm komplett erneuert worden. Er besitzt mit dem Altherrenzimmer im Untergeschoß, dem Palatenraum in der Mitte und dem Ripuarenzimmer im Obergeschoß drei urgemütliche Räumlichkeiten, die zum Feiern einladen und genutzt werden...
Autor: Leo Gibbels, Festschrift 1992 zum 80. Stiftungsfest